Geschichte der Freimaurerei
Die Anfänge der Freimaurerei werden oft mit der Gründung der ersten Großloge von England (genannt Grand Lodge of London and Westminster) in Verbindung gebracht, die nach eigener Angabe am 24. Juni 1717 in der Londoner Bierstube Goose and Gridiron in St. Paul's Church-yard durch die Zusammenschließung vier bereits bestehender Freimaurerlogen erfolgte.
​
Die Mitglieder dieser Logen hielten ihre rituellen Zusammenkünfte nach altem Zunftbrauch in den Räumlichkeiten von Gaststätten, der obengenannten Goose and Gridiron, der Bierstube Crown auf Parker's Lane off Drury Lane und der Apple-Tree Tavern auf Charles Street in Covent Garden in der Stadt London, sowie der Rummer and Grapes Tavern auf Channel Row in der Stadt Westminster. Sie waren zum Teil Steinmetze und Bildhauer (freestone-masons) sowie Maurer, die zur selben Zunft gehörten. Aber auch zum Teil vornehme Bürger oder Adlige, die in die Zunft 'angenommen' worden waren, ohne jeglichen Bauberuf auszuüben (accepted masons).
​
Den 24. Juni 1717 kann also nicht ohnehin als die 'Geburtsstunde der Freimaurerei' betrachtet werden, denn alle Mitglieder der neugegründeten Großloge waren logischerweise bereits Freimaurer. Steinmetze und Bildhauer sowie Maurer, die außerhalb der Werkstatt in regelmäßigen Abständen rituelle Zusammenkünfte hielten, gab es sseit jeher tatsächlich nicht nur überall in Großbritannien, sondern in ganz Europa. Ein Hinweis darauf sind z.B. die Bräuche von heute noch bestehenden Organisationen, wie die Compagnons Passants Tailleurs-de-pierre in Frankreich und die rechtschaffenen fremden und einheimischen Maurer- und Steinhauergesellen in Deutschland.
​
Auch die 'Annahme' von Nicht-Handwerkern stellte 1717 keine Neuigkeit dar. Bekannt ist unter anderem der Fall der rituellen Aufnahme vom Rechtsanwalt und leidenschaftlichen Alchemisten Elias Ashmole (1617-1692) in eine Freimaurerloge in Warrington (Lancashire), die am 16. Oktober 1646 stattfand. Zünftige 'Annahmen' von Mitgliedern des Bürger- und Ritterstandes sind übrigens in anderen historischen Kontexten dokumentiert, etwa zwischen 13. und 14. Jahrhundert in italienischen comuni wie Florenz, wo sie eine gängige Praxis waren.
Eben so wenig war 1717 das erste Mal in der Geschichte, dass verschiedene voneinander unabhängigen Freimaurerlogen sich zusammenschlossen, um eine Dachorganisation zu gründen. Sogar auf einer größeren Skala hatten 1459 die Straßburger, Kölner, Wiener und Züricher 'Haupthütten' (d.h. Dombauvereine) eine gemeinsame Organisation gegründet, die vom Straßburger Baumeister geleitet war, und im wesentlichen die Züge einer Großloge in modernen freimaurerischen Sinne aufwies. Diese Organisation, die alle reisenden Steinmetzen und Bildhauer in deutschsprachigem Raum verband, hatte 1717 noch Bestand.
​
Die in der älteren Historiographie als Besonderheit der ersten Großloge von England im Vergleich zu ihrer Vorfahrenorganisationen oft angeführte sogenannte 'kontemplative' Auseinandersetzung mit Symbolik und Bräuchen der zünftigen Bauleute, wurde auch bei Steinmetzen, Bildhauern und Maurern anderer Epochen und anderer Orten dokumentiert. Die Annahme, erst in den Versammlungen von Logen der Grand Lodge of London and Westminster habe man über Sinn und Zweck der von naiven Handwerkern überlieferten Ritualen und Symbolen spekuliert, wird in zahlreichen Studien zur Entstehung und Geschichte der Freimaurerei bestritten.
Warum ist also die Gründung der ersten englischen Großloge, deren Datum (wahrscheinlich rückwirkend) am Johannistag 1717 festgelegt wurde, noch heute so wichtig, dass sie bei kaum einem Bericht zur Geschichte der Freimaurerei unerwähnt bleibt?
Die Antwort liegt möglicherweise am Erfolg ihres Modells. Nach der Ernennung der ersten aristokratischen Großmeister in den 1720er Jahren und im Gefolge ihrer Verbindungen zur wissenschaftlichen Aufklärung wurde die Grand Lodge of London and Westminster zu einem der größten und einflussreichsten Clubs Großbritanniens und zog eine aufstrebende Mitgliedschaft aus dem oberen Mittelstand und dem Adel an. Obwohl zahlreiche Logen sich im Nachhinein der neugegründeten Londoner Großloge anschlossen, war jedoch die überwiegende Mehrheit der Freimaurer Großbritanniens mit der neuen Organisation nicht zufrieden.
Neue Großlogen nach dem Londoner Modell wurden in Irland (1725) und in Schottland (1736) gegründet. Sie stellten ein Referenzpunkt für alle britischen Logen dar, deren Mitglieder vor allem Ritual und Symbolik der ersten englischen Großloge bemängelten.
Diese gründeten 1751 in London die Grand Lodge of Free and Accepted Masons of England according to the Old Constitutions, beanspruchten für sich die Bezeichnung 'Antients' und führten die Bezeichnung 'Moderns' für die Mitglieder der ersten englischen Großloge ein. Die Antients gaben sich eigene Konstitutionen (das von irischem Meister Laurence Dermott 1756 verfasste Ahiman Rezon), die in vielerlei Hinsicht kritisch Stellung zu den Konstitutionen der 'Moderns' nahmen, dem 1723 in erster und 1738 in zweiter Ausgabe erschienenen The Constitutions of the Free-Masons; containing the History, Charges, Regulations, &c. of that Most Ancient and Right Worshipful Fraternity von James Anderson.
Zu einer Versöhnung beider freimaurerischen Organisationen kam es 1813 mit der Gründung der noch heute bestehenden vereinigten Großloge von England (United Grand Lodge of England, UGLE). Dabei gaben die Moderns praktisch alle rituellen und symbolischen Eigenschaften ihrer 1717 gegründeten Großloge auf und rezipierten die Bräuche der Antients, was der UGLE die sofortige Anerkennung durch die irische und die schottische Großlogen versicherte.
Währenddessen hatte die Freimaurerei auch auf französischem Boden Fuß gefasst. Bereits seit 1725 sind in Frankreich Gründungen von Logen dokumentiert, die zahlreiche Anhänger des verbannten britischen Thronprätendenten James Francis Edward Stuart (Jakob VIII. von Schottland) in ihrer Reihen hatten. Diese sogenannten 'Jakobiten', irische, englische und vor allem schottische Edelleute, beriefen sich auf eine kulturelle Tradition, die in den Jahrhunderten zuvor an den Königshofen der Stuart von Robert II. von Schottland (1371-1390) bis Jakob VII. von Schottland und II. von England (1685-1688), geblüht hatte. Dabei war die 'königliche Kunst' der Architektur (im Zusammenhang mit mystischen Vorstellungen zum Bau von Salomos Tempel) mit christlichem Hermetismus, jüdischer Kabbala und ritterschaftlichen Idealen verwoben.
Während also auf britischem Boden die Antients ihre Bräuche als eine auf reinster althergebrachter handwerklicher Tradition basierende Alternativ zur Symbolik und Rituale der Moderns darstellten, wurde in Frankreich das Modell der Moderns von den 'Jakobiten' zwar übernommen, aber in vielerlei Hinsicht durch die Einführung von sogenannten 'schottischen' sowie 'ritterlichen' Graden (die keineswegs mit der Tradition der 1736 gegründeten Großloge von Schottland in Verbindung stehen) umgestaltet und ergänzt. Aus dieser freimaurerischen Tradition stammen durch einige historische Umwege, die im nächsten Abschnitt verfolgt werden sollen, die Symbolik und die rituelle Bräuche unserer Großloge, der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland (Freimaurerorden).